Psyche by Theodor Storm

Psyche by Theodor Storm

Autor:Theodor Storm [Storm, Theodor]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T05:00:00+00:00


Es war inzwischen Winter geworden. – Der erste Streifen des Dezember-Morgenrotes stand am Himmel und warf seinen Schein in die Dämmerung einer Künstlerwerkstatt. Abgüsse antiker Bilderwerke und einzelne Modelle von des Künstlers eigener Hand standen überall umher; an der einen Wand hingen Reliefstücke eines Bacchuszuges, an der anderen von den inneren Friesen des Parthenon; aber alles warf noch tiefe Schatten, nur einem Flöte spielenden Faun waren von dem jungen Licht des Morgens die Wangen rosig angehaucht. In der Ecke rechts vom Eingange ragte, aus dunklem Ton geformt, die übermenschliche Gestalt einer nordischen Walküre aus der dort noch herrschenden Dämmerung hervor; aber nur der obere Teil mit dem einen Arm, den sie dräuend in die Luft erhob, war vollendet; nach unten zu war noch die ungestalte Masse des Tons, als wäre die Gestalt aus rauhem Fels emporgewachsen. Es mochte die furchtbare Brunhilde selber sein, die hier finsteren Auges auf die heiteren Griechenbilder herabsah.

– – Von draußen drehte sich ein Schlüssel in der Eingangstür. Der Künstler selbst war es, der jetzt in seine Werkstatt trat, ein schlanker, jugendlicher Mann mit grauen, hell blickenden Augen und dunklem Lockenkopf. Doch weder fremde, noch eigene Gebilde schienen heute seinen Blick zu reizen; achtlos ging er an ihnen vorüber und griff wie mit sehnsüchtiger Hast nach einem offenen Briefe, der auf der Scheibe eines Modellierblockes lag; dann warf er sich in einen danebenstehenden Sessel und begann zu lesen. Aber nur an einer bestimmten Stelle des Briefes, die er gestern schon mehr als einmal gelesen hatte, hafteten seine Augen.

»Du traust es mir wohl zu, Franz« – so las er heute wieder –, »daß ich unseren beschworenen Vertrag gehalten habe. Weder einem profanen, noch einem heiligen Ohre habe ich Deine Tat verraten; gewissenhaft habe ich jede Begierde zur Nachforschung über Person und Namen Deiner Geretteten in mir ertötet; ja selbst, als eines Tages das Geheimnis mir so nahe schien, daß ich nur einen Gartenzaun auseinander zu biegen brauchte, bin ich, wenn auch zögernd, mit katonischer Strenge vorübergegangen. – Auch auf der andern Seite ist alles stumm geblieben, und selbst unserer alten Badehexe muß durch irgendwelche Zauberkraft der Mund wie mit sieben Siegeln verschlossen sein. – Und dennoch, ohne mein Zutun beginnt der Schleier sich vor mir zu heben.

Es gibt eine sehr junge Dame in unserer Stadt, kühn wie ein Knabe und zart wie ein Schmetterling. Obgleich sie erst mit den letzten Veilchen aus der Schulstube ans Tageslicht gekommen ist, so mag doch schon so mancher junge Gesell in schwüler Sommernacht davon geträumt haben, sie winters im geschlossenen Ballsaal an den Flügeln zu haschen; und ich will ehrlich sein – und zürne mir nicht –, zu diesen kühnen Träumern habe auch ich gehört. Die alte Bürgermeisterin – mir ist das zufällig zu Ohren gekommen –, die eine Art von Götzendienst mit diesem Kinde treibt, hatte mit vorausberechnender Kunst eine weiße Kamelie für sie gezogen, und das Glück war diesmal günstig gewesen, eben am Tage vor dem Balle war sie aufgeblüht. – Aber weder die Kamelie, noch das blonde Götterkind



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.